Mit Herz und mit Geschmack


SindelfingerZeitung / BöblingerZeitung - 08.12.2009 - Von unserem Mitarbeiter Bernd Heiden / Bild: Stampe



Das sind aber ganz schön viele wird mancher überrascht festgestellt haben, als die Kantorei im Altarraum Aufstellung bezog. Tatsächlich ist es Kantor Eckhart Böhm pünktlich zum Jubiläum gelungen, ohne Kooperation mit anderen Chören rund zwanzig zusätzliche Kehlen zu gewinnen.

Verstärkung mit Frauenstimmen. Ob dies nur der bei Sängern großen Beliebtheit des Weihnachtsoratoriums geschuldet war oder die Frischlinge auch bei künftigen Kantorei-Konzerten mitmischen, wird sich weisen. Für den Augenblick jedenfalls war Böhms Idee, neben den wöchentlichen Abendproben der Kantorei auch eine Vormittagsprobe anzubieten, ganz offenbar erfolgreich. Auch wenn die Verstärkung der Kantorei fast oder ganz ausschließlich die Frauenstimmen betraf, die rein quantitativ so ein deutliches Stimmübergewicht hatten.

Das schlägt sich von der Gesamtbalance weniger deutlich nieder. Tenöre und Bässe kamen zur Geltung, vor allem in den kontrapunktischen Passagen. In den wuchtigeren, homophonen Chorpassagen und –sätzen dominierten zwar die Oberstimmen, allerdings ohne die Tiefen wegzubuttern. Nach Klanglage der Dinge hatte es Eckhart Böhm demnach verstanden, den Chor trotz nicht optimaler Ausgangslage gut zu disponieren.

Dicht-kompakter Sound

Bei der Gesamtgröße von rund 60 Sängerinnen und Sängern bringen die behutsameren Passagen einen tragenden, dicht-kompakten Sound auch in zarten Lautstärkebereichen. Wo aufwallende Affekte gefragt sind wie im „Jauchzet“, singt das Ensemble mit Herz, aber stets das Maß bewahrendem Geschmack. Zu technisch kniffligen Sätzen verordnet Eckhart Böhm (Bild: Stampe) zwar noch frisch daherkommende, aber eher moderate Tempi. In den kolorierten Chorpassagen zeigt sich freilich, dass die Frauen sich ihrer Anzahl wegen im für Bach kritischen Massenbereich bewegen.

Die Männer klingen hier oft einen Tick artikulierter. Die Choralsätze kommen mit teils großen Bögen, neben Dynamikstufung auch An- und Abschwellen, deutlichen Ritardandi und teils sehr langsamen Tempi oft überraschend romantisch her. Wenngleich die Gesamtanlage dieses Weihnachtsoratoriums gerade mit prägnanter Rhythmik und Silbengewichtung klar die Einflüsse der historischen Aufführungspraxis verrät, die in den letzten dreißig Jahren die Barockinterpretation weltweit umgekrempelt hat.

Diese Spielweise prägt auch das ausgezeichnet aufspielende Orchester Concentus Böblingen, das auf modernen Instrumenten barocken Geist realisiert und trotz kleiner Besetzung, beispielsweise nur ein Cello, sehr satt daherkommt.

Mit Sopranistin Jeanette Bühler, Altistin Sabine Schilling und Tenor Alexander Efanov hatte Böhm gute bis außergewöhnlich gute Solisten verpflichtet. Bassist Günther Haussman fällt diesem Trio gegenüber merklich ab. Seine Stimmformat reicht vor allem in der Tiefe nicht immer, um stets auch die hinteren Winkel dieser doch großen Kirche zu erreichen.

Mit rund zwanzig zusätzlichen Stimmen hat die Böblinger Kantorei zu ihrem 50-jährigen Bestehen Bachs Weihnachtsoratorium in der Marienkirche aufgeführt.